Hans Gottlob Rühle
Nepal
Marburger-Vogelwelt

HANS GOTTLOB RÜHLE - GEDICHTE
NEPAL

SEHNSUCHT NACH DEM HIMALAYA

Majestätische Kette der Bergriesen.
Weiß bekrönt. Makellos.
Sitze der Götter.

Sehnsucht, selbst ein Berg
zu sein.

Erhaben,
mit dem Firmament verschwistert,
hoch über dem Menschengewimmel
der Ebenen,
den Nichtigkeiten des Alltags entrückt,
frei in ferner Unendlichkeit,
gottgleich.

Und doch am Morgen in die Ebene,
die verborgensten Täler blickend.
In den Kessel voller Menschen,
voll von Freuden, Leiden, Gleichgültigkeiten.
Dann und wann einen mahnenden,
einen drohenden Schatten über sie
und ihre grünen Matten zu legen.

Im Steinbruch von ihnen geritzt zu werden, grad
zwischen zwei Zehenspitzen.

Als Teil eines Tempels,
an heiligem Ort für tausend Jahre
zu Mauern gefügt.
Alle Gebiete, alle Tränen, alles Flehen,
Seufzer und Dank,
Zeremonien und Opfermord
miterlebend und fühlend.

Mit-leidend und
doch kalt.

Mitten unter ihnen
und doch fern.

Außen sonnenüberflutet,
monsungepeitscht.

Innen stets dunkel, mystisch,
im Widerschein der Butterlampen,
verwöhnt vom
Duft der Räucherstäbchen.

Doch hüte sich Mensch
vor mir und meinem Zorn!
Denn mein Leib reicht
in tiefste Tiefen.
Wenn du mich besitzen wolltest,
versänkest du
in reinem Feuer.

Selbst ein Berg zu sein.
Losgelöst von aller Pein des Lebendigen.
Majestätisch, rein und
- beinahe unsterblich.

ERINNERUNGEN AN NEPAL

Gedämpfte Gespräche im
Frühstückssaal.

Kalt die Nacht,
klar der Morgen.
Raureif am Boden,
der Glutball schon am Horizont.

Dunkelheit lag noch über dem Tal
als Buddha erschien.
Seine Weisheit ertrank im
Menschengewimmel.

Das Paradies sei hier,
glaubten einst die Wohlstandskinder.
Sie kifften ihr letztes
Abendmahl.

In verborgenen Klüften,
hinter Brahmanendörfern und
Reisterrassen rinnt
von Götterbergen ein blutender Strom
zu Kalis Tempel nieder.

Weine nicht, selbst wenn
Kali im Blut bis zu den Hüften.
Auch du musst das Leben lassen
wie das Opfertier -
Staubkorn am ewigen Rad der Wiedergeburten.

Heil dir;
wenn dein Kharma eingefangen
vom Rauch der Totenfeuer
in Phashupatinath,
wenn Shiva dir zu neuem Leiden
kein weiteres Leben
vermittelt hat.

Alte Königspaläste, verlassen,
gefüllt mit der Touristen Hast.
Die vielen Tempel, geschmückt
und erdrückt von menschlicher Last.
Leben ist Leiden.

Am Rande des Basargewimmels
lächelt Ganesha dem träumenden
Buddha zu,
wer beide liebt, keine keine Eile
dein Ende kommt doch früh genug.

Wenn alles vergangen,
verwest die Massen,
werden draußen über Reisterassen
die letzten heiligen Bäume
gelassen lächeln über der Menschen
vergebliches Streben in ihrem
so kurzen, begrenzten Leben.

TRÄUME

Wandern im
Himalaya.

Bambus,
Stupa,
Gipfelblick.

Reisterasse,
Kuchenschelle.

Brahmanendorf
vor Himmelblau.

Bergauf und
bergab.
Pilgerschaft des Lebens.

Aufsteigen, um
abzusteigen.
Absteigen, um
wieder hochzuschauen.

Sag,
wo werden einst
meine Träume
enden?

KRISTALLBERG

Der Mond,
silbrig-kalt an
seiner Unterseite.

Nur der harzige
Duft der Himalaya-
Kiefern wärmt.

Hunde bellen
bei unserem Vollmondzug
durch die Brahmanendörfer.

An einer Windung
des Wegs löst sich
der Kristallberg aus
der Dunkelheit.

Blauer Schimmer.
Ziel einer
langen Suche.

Endpunkt unserer
Wanderung durch
die Zeit,

Am Ziel angelangt,
sind die Täler
tief unten
- vergessen.

GELASSENHEIT

Das Wesentliche
bleibt,
das Einfache,
das Elementare.

Das Feuer der Sonne,
das Wasser der Schluchten,
die Feuchte des Nebels,
des Waldes Geruch.

Die Durchsichtigkeit der Luft
bedeckt die Erde
der Terassenfelder.

Nur der Duft
des Curry-Reises
aus der Sherpa-Küche
betört noch Shivas Kinder.

Wenn der Schnee glitzert
im blauen Schimmer des Mondes,

wenn der Feuerball über
dem Reisfeld steht

und die Fallwinde die
Gebetsfahnen leeren,

dann wird der Blick
des Alters über die
Jugend streichen,

wird die Gelassenheit
alle Geschäftigkeit mit
dem Fortschritt ziehen lassen.

Und ihr Lachen wird
über die Pässe wandern,
bis nur noch ein Lächeln
die innere Meeresstille
erwärmt.

MILAREPAS BOTSCHAFT

Der Stein in deiner Brust
braucht Winter wie Frühling,
Auferstehung braucht den Tod.

Des Menschen Bewußtsein findet
seinen Freund in der Einsamkeit,
im Winter seinen Wegbegleiter.

Ganzheit findet der,
der Himmel und Hölle
jede Erfahrung und jedes Sein
durchwandert hat.

Betrachte deshalb alle
Erscheinungen der inneren
wie äußeren Welten,
alle Formen des menschlichen
Seins gleichermaßen
ohne Vorurteil, Absichten oder Furcht.

So betrittst du den Zauberberg,
der dem dunklen Stein
in einen Bergkristall
zu verwandeln
vermag.

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