HANS GOTTLOB RÜHLE - GEDICHTE CHINESISCHE REISE
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JADENACHT
Erste Nacht am Westlichen See.
Silbern fließt das Mondlicht über dem Jadesee
hin zum Hain der Trauerweiden.
Das Konzert der Grillen läßt die warme Nachtluft flimmern.
Der Reigen ferner Lampions gleicht Schmetterlingen.
Von Bergterassem wejt wehmütiger Gesang und leiser Klang
der Flöten und der Zimbeln.
Glückliche Stunde, in der der Gelbe Drache vom Duft der Chrysanthemen trunken träumt.
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PFINGSTROSEN
Du besitzt viel und bist doch nicht frei von den Fesseln der Angst.
Du stehst erfolgreich im Zenit und wieder lauert der Abgrund vor dir.
Blühen bei dir im Garten nicht die Pfingstrosen, die seit Jahren schon auf dich warten?.
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LÖSE DICH
Wisch dir den Schweiß von der Stirn.
Vergrab deine Arroganz im Tresor.
Breche den Zwang der Zeit.
Befreie Gemüt und Gehirn.
Lern, wie ein Fischer zu lben.
Stehe ganz still im Schilf.
Lausche dem lautlosen Streben des Lotus zur Sonne hin.
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SEHNSUCHT
Fischer vom Perlfluß, was bist so traurig du?
Wenn die Sonne wieder rot aus den gelben Fluten taucht,
Wenn die Flamingos wie eine Wolke über dem Schilf gleiten,
dann, dann werde ich wieder bei dir sein und mit Dir dem Spiel der Fische lauschen.
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LIEBE UND TOD
Meine Seele sucht bis an das Ende der Wasser.
Sie lauscht dem Flug der Wolken
und versinkt im Gesang der Grille
- Wann, wann kommst Du?
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HOFFNUNG
Flüchte, in jenen wundersamen Garten des Geistes und der Melancholie.
Und tausend Blumen leuchten, inmitten der Zwietracht.
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TRAURIG
Rühre nicht daran!
Auf dem Bambusgras laß noch ein Weilchen den Tau
wie auf deiner Wange die Tränen.
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NACHTIGALL
Den Becher trink ich bis zur Neige.
Ich lebe. Heute und im Gestern.
Leise fließt der Sand. Ich spüre ihn kaum.
Reif hat meinen Bart überzogen.
Der Lorbeer im Haar ist welk.
Im Mondschein taumelnd suche ich die verstummte Nachtigall.
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In den Buddhagrotten von Longmen oder Der Aufstieg und Alter
Es zerfließen die Zeiten wie im Traum. Ich spüre sie kaum.
Beruhigt von des Mondlichts milder Hand stieg ich hinauf, ganz ohne Leiden.
Blüten fallen, welke Blätter sammeln sich auf meinem Gewand.
Es ist mir kalt geworden und meine Straße ist leer.
Schmetterlinge träumen hier schon lange nicht mehr.
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Achtsamkeit oder Wer will am Abend weinen
wer will am Abend weinen, wenn die Sonne untergeht, wenn Sterne kalt erglitzern, der Mond im Mangohain steht.
Wer will sein Schicksal beklagen, wenn das Leben fast vorbei, wenn die Menschen Dich verraten und Dein Schmerz ihnen einerlei.
Wer will die Früchte ernten, wenn der Frost im Feld schon lauert, wenn die Diebe bereits geplündert und die Liebe eingemauert.
Nur wer am Morgen schon achtet auf des langen Tages Geschick, findet zurück zum Ursprung, Sinn und Vergehen im Blick.
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Leben
Illusion ist das Leben. Der Augenblick allein ist es wert, gelebt zu werden.
Freue dich dieser Stunde und vergiß, wie bald der Schein des silbernen Mondes über dem Birnbaum
dem unerbittlichen Tageslicht weichen muß.
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Verloren
Der Fluß gleitet still durchs Dunkel.
Sein Wasser wäscht heraus mein Leid.
Der Bambus atmet tief im Mondlicht.
Der Liebsten Herz ist so weit.
Der Wind zählt laut die Tage, bis ich Dich wiederfind.
Das Feuer im Schmetterlingshügel zeigt, daß verloren wir sind.
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Frieden
In deinen Fingern hat sich der Mond gefangen.
Von deiner Stirn weht der Himmelswind.
Die Gräser haben zu singen angefangen,
Orions Schwerter zerbrochen sind.
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Nachtigall
Den Becher trink ich bis zur Neige.
Ich lebe. Im Gestern und heut.
Leise fließt der Sand, Ich spüre ihn kaum.
Reif hat meinen Bart überzogen.
Der Lorbeer im Haar ist welk.
Im Mondschein taumelnd suche ich die verstummte Nachtigall.
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Frühling im kaiserlichen Sommerpalast
Über den Seeufern und seinen Buchten schweben noch Morgennebel.
In den ansteigenden Kiefer- und Ahornhainen erstes Vogelgezwitscher.
Verhangen, bald schon silbern schimmernd steigt die Sonne über dem Hsien-gan Gipfel empor, Wogen von Licht auf die nahem Tempel werfend.
Hell flammen die Paläste der Kaiserhügel auf. Die goldenen Drachen an den geschweiften Dächern erwachen.
Rote und jadegrüne Lacksäulen glänzen glückhaft hinter den frischen Trieben der Trauerweiden,
verstecken sich scherzend hinter duftenden Jasminhecken.
Weiße Chrysanthemen leuchten neben dem Dunklen Holz des Tores.
Die Beschwörungen der raschelnden Seidenfahnen durchwandern den Hain mit dem sanften Bergwind.
Aus dem Palast tritt die zarte Konkubine Xi Shi.
Es ist Frühling geworden und der Himmel strahlt in pastellfarbenem Blau.
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Auf dem Gipfel des Mondberges
Auf dem Gipfel des Mondberges wird die Welt so klein, die glitzernde Schalnge des Li-Flusses, das sanfte Meer der Reispflanzen, die stinkenden Ungeheuer der Straßen, die harte Arbeit der Reisbauern, die Sorgen im Tal.
Auf dem Gipfel des Mondberges wird die Welt so groß, die lärmende Zikade, der gaugelnde Schmetterling, das Klammernde Dorngestrüpp, der dürftige Windschutz, ein wenig Schatten, die Plastikflasche mit Wasser aus dem Tal, schon warm und schaal.
Am Ende meines Daseins wird der Mondberg wieder vor mir stehen.
Und ich werde, ganz alleine zu seinem Gipfel gehen.
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Beim Betrachten chinesischer Rollenbilder und Lesen chinesischer Gedichte
Sie liebten die Landschaft mehr als ihr Leben.
Des Menschen Winzigkeit hat ihren Platz gefunden.
Die Bergkiefern vom Wind zerfetzt, regieren.
Die Felsen schwerelos aufgetürmt über dem Rauschen des Wasserfalls.
Wehender Bambus jagt hinter dem Schatten des Kranichs.
Und der Gelehrte setzt seine Zeichen auf Reisweinschalen.
Die Freundschaft der Mondsichel wirft ihren Glanz über das Papier durch Nebelfetzen hindurch.
Der Frieden im Reisfeld fließt aus der Bewegung der Wasserschlange und sinkt in den Aufmerksamen hinein.
Sie liebten die Freundschaft, die Freiheit, den Reiswein, die Versenkung und das Alleinsein.
Auch in der Verfolgung waren ihre Herzen schwerelos, die trennt ihr Gewand.
Warum sind unsere Bilder so schwer, unsere Bewegungen so hart, unsere Gewänder so grell, unsere Berge so drohend?
Aus ihren Fingern wuchs die silberne SCheibe des Mondes.
Aus unseren Händen tropft die Gier.
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Chinesische Ode oder Gesang aus Hangtschou
Zauber des Westsees, Pfirsichbäume. Trauerweiden am Inneren See.
Hangtschou, über Deine Bogenbrücken streicht der Südwind.
Aus dem Lotus glitt die Weiße Schlange, die in Herrn Xu Xien die Liebe entfachte.
Deren seidenes Band fand ich, zerschnitten durch des Mönches Niedertracht.
Flieht zur Insel des Berges der Einsamkeit. Lauscht im Pavillon dem Herbstmond über dem stillen See.
Geheimnisvoll und magisch ist dies Licht, das schon Kaiser Qianlong gefangen nahm.
Und vergeßt nie den Gesang der Nachtigallen in den Weidenzweigen.
Im Kranich-Pavillon führt Mandarin Lin Hejing noch immer sein besinnliches Leben, angewidert von der Menschen Niedertracht.
Drei Pagoden spiegeln den Mond in den Tiefen der Wasser.
Ein Zwitschern dringt dort aus dem Bambushain.
Kraniche, ihr Zeugen der Unsterblichkeit, zeigt mir die Jade-Quellen, denn ich dürste.
Laßt mich im Reich der Fröhlichen Fische tanzen, denn meine zarte Konkubine Xi Shi ist nicht mehr weit.
Im kaiserlichen Garten bei Drachenbrunnentee, lacht der dicke Buddha zufrieden über den See.
In die Höhle des Gelben Drachens flohen einst die Südlichen Song; Im Kloster der verborgenen Unsterblichen dröhnte noch der eiserne Gong.
In welchem Jahr kam jener indische Berg herbeigeflogen, geschmückt mit Seidenhaar?
Dorthin zogen die Unsterblichen zu Zeiten, als Buddha noch am Leben war.
Nun Fremder, ziehst Du weiter nach Beijing, sage, Du habest das Paradies und die unsterblichen Seelen im Lotus gesehen, bewacht von der Pagode der Sechsten Harmonie.
(Collagengedicht zum 50. Geburtstag)
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Aus uns selbst
Vergebens rennst Du, In Hast verbrennst Du, Vor Giert ertrinkst Du.
Schreite zwecklos, ziele ins Nichts.
Versinke im Nebel und streichle den Tau.
Denn nur aus uns selbst erwächst die Blume, deren Duft die Nacht bezwingt.
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Nachtigall II
Der Mond hat mein Haupt weiß gestrichen. Ein letztes Mal füll ich mein Glas.
In den Scherben in das dunkle Eck! Euch verlaß ich gern.
Ich besteige das Boot. Habe ich eine Wahl?
Schwarz weint der Himmel über dem Fluß.
Ohne Reue, ohne Qual lasse ich das Fahrzeug treiben.
Mit dem Morgenstern singt fern die Nachtigall ihr erstes Lied.
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Heldentaten
Im tiefen Schnee erlischt die Pfirsichblüte. Der Lotus bricht das letzte Licht. Die, die im Dunkel wohnen vernehmen unsere Klagen nicht.
Immer werden Steine weinen, immer wird der Jangtse ziehen.
Immer wird die Grille zirpen, Menschen ziehen zur Erde hin.
Heldentaten sind vergessen schon am übernächsten Tag.
Eisenträger rosten schnell, bald blüht die Anemone zart.
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Beständigkeit
Rabenvögel picken Sterne auf.
Diebe verschütten die letzten Kübel des Sonnenlichts.
Nebel wallt sich in die Schluchten.
Wolken ertränken den Westsee.
Brüste quellen aus dem Ufersand.
Vögel schwingen sich lachend über die Städte.
Feuer kriecht durch Hochauswüsten.
Strahlend liegt fruchtbares Land.
Nur der Jangtse-Fluß, nur der Gelbe Berg
sind beständig.
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Haare im Wind
Das Gestern entgleitet: Das Heute mißacht ich. Im Morgen leb ich.
Die Amsel, aufgeplustert auf dem First, träumt vom Sommer.
Ich stehe auf dem höchsten Turm - windzerzaust.
Schau nicht mehr über hohe Berge, nach Süden.
Tränen füllen meinen Weinkrug.
Ich kann die Dunkelheit mit meinem Schrei nicht zerspalten.
Das schöne Gestern Nicht länger in meinen Händen halten.
Herzlos schwimmt auf dem Wein die Not.
Ich fliehe in das unbekannte Morgen.
Ich träume, geb mich preis dem frühen Tod.
Haar flattert im Wind.
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Am Li-Fluß
Im Bambushain am Li-Fluß saß er.
Unendlichkeit sah er im Wasser des Flusses und in der Wolken Weite.
Über den Li-Fluß zog die ganze Welt.
Er sah die Verwirrung der Menschen im Gestern und Heut. Er ahnte der Zukunft Qual.
Über dem Himmel des Li-Flusses lag ein Widerschein.
Er spürte das Blitzen der Raktoren und Himmelsgeschosse. Regen verbrannte die Luft auch im Hain.
Im Bambushain am Li-Fluß war er versunken. Im Fließen des Wassers fand er Erlösung von aller Qual.
Einst stand ein Bambushain am Li-Fluß. Dort saß er. Sein Lächeln durchwandert noch heute das Tal.
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