Hans Gottlob Rühle
COTE D'AZUR
Marburger-Vogelwelt

HANS GOTTLOB RÜHLE - GEDICHTE
COTE D’AZUR

COTE D’AZUR

Hinter jeder Kurve
ein Postkartenblick.

Fischgeruch am Hafen,
Lavendel mal wild,
mal vorgartenschick.

Weißes Cannes und
blaues Meer.

Plattgefahrene Echse
am Straßenrand,
der Schrei steckt noch
in der Kehle fest,
Nizza gefällt uns auch sehr.

Wenn meine Frau
mich läßt,
fotografiere ich all diese
azurumschlungenen Weiten,
für unsere Freunde,
für mein Ego,
für meine Träume,
in den kommenden,
mausgrauen
Zeiten.

FRÜHLING AN DER ESTEREL-KÜSTE

Das Meer beginnt sich zu kräuseln,
Wind setzt ein.

Ich wandere im letzten Sonnenschein
über die Klippen.

Der Ginster blüht.

Von fernen Seealpengipfeln
leuchtet später Neuschnee.

WEITE

Ich lausche dem Mistral, der nächtens
am Wohnmobil rüttelt.

Kennt er die Weiten, die meine
Gedanken durcheilen,

schneller und heftiger, als jeder Nordwind
es jemals vermag,

während mein Teewsser auf dem
Gaskocher singt?

FIEBER

Unruhe beim Schlafengehen.
Unruhe am Schreibtisch.
Unruhe
wenn der Kirschlorbeer
blüht an warmer Gartenwand.

In Monte Carlo rollt
wieder die Kugel holprig
Richtung “Zero”,

In Cannes küssen sich
ungeniert nackte braune
Knaben am Strand.

Ein Unruhestifter sitzt
in meinem Gewand.
Beim Schreiben zittert nur
die Hand.

Meine Gedanken finde
ich über den Globus
zerstreut.

Wenn ich sie,
weitgereist, dann wieder
zusammensetze,
finde ich
- mich.

IKAROS

Würde das tiefe
Blau des Wassers
seinen Sturz hilfreich
verwandeln,

Kann der warme
Sommerwind das
Kind zu den Gestaden
seiner Träume tragen,

Werden Morgennebel
mit weicher Watte
schützend ihn
ummanteln,

Unter ihm liegt
der Olymp
unter ihm die Sagen
und die Weisheit der Alten.

Vergessen längst, daß
zwischen den Welten
niemand
heimisch werden kann.

AZURKÜSTE

Blauer Wind wischt
über rotes Gestein.

Mit heißen Fingern erwürgt
die Sonne Momosenblüten.

An ihren Gestaden
wohnt das Glück,

nur dürres Buschwerk
begleitet den Blick zurück.

Tote Agaven winken
aus Ruinen.

Der Himmel verliert sich
in der Leere des Horizonts.

Wo Motorengeheul schon
lange verklungen,

träumt keiner mehr von
Casino und Chic.

Hier wird keine
Yacht mehr landen,
Kein Negresco mehr gebaut,
Keine Palme mehr gewässert
Keine Diva mehr geschaut.

Friedhof in St. Croix-Valmer (Cote d’Azur)

Versteinertes Gedenken
Versteinerter Glaube
Versteinerte Feste
über den Leichen am blauen Meer.

Gewürfelter Marmor,
Blöcke aus Kalk und Granit,
zerquetschte letzte
organische Reste.

Erde abgesunken,
aufgefüllt.
Mit steinernen Platten verschlossen.
Sicherheit gegen eine Wiederkehr.

Ach, wir haben Körper genug,
um den ganzen Berg zu bepflanzen.
Am Strand warten viele,
die jetzt noch munter tanzen.

Aus verborgenen Gruften
und Kammern
glotzt noch ein Auge,
ragt eine Hand.

Resignation überzieht
algengleich die marmorne Wand.
Aufschrei gegen ewiges Vergessen,
Ein lautloses Jammern?

In überfüllten Gewölben des Ehrenmals
wartet ein Fähnlei gefallener Helden.
Sie liegen dort und horchen still
bis einst ertönt Kanonengebrüll.

Und ein Kaiser reitet
durch die Lüfte
und erweckt die
modernden Grüfte.

Fädenziehen morgen
zwischen kühlen Zellen.
Es winken stumme Herren
mit Barrett.

Was spielen die Verborgenen
in ihrem Leben ohne Sorgen?
Schach oder Monopoly,
Tric-Trac oder Roulette?

Im Tod
sind Spieler
und Einsätze
alle gleich.

Die vielen versäumten Leben,
die unerfüllten Sehnsüchte
schleichen noch suchend
durch Hohlräume und Kammern.

Nie wieder wird Licht
und üppiges Grün über
die Friedhofsmauern
scheinen.

In mondhellen Nächten
hörst du
leises Weinen.

 

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