ZUM EINGANG INS GERICHT
Aus dem unermeßlich tiefen und rätselhaften Brunnen der Gerechtigkeit zu schöpfen, heißt, ausgeliefert sein.
Tritt nun ein, Du, der das Recht Suchende, der dem Recht Vertrauende
und vergiß dies nie!
|
IKAROS
Würde das tiefe Blau des Wassers seinen Sturz verwandeln
Kann der warme Sonnenwind das Kind zu den Gestaden seiner Träume tragen
Werden Morgennebel mit wicher Watte schützend ihn ummanteln
Unter ihm liegt selbst der Olymp hinter ihm die Weisheit der Alten.
Vergessen längst, daß zwischen den Welten niemand heimisch werden kann.
|
AZURKÜSTE
Blauer Wind wischt über rotes Gestein. Mit heißen Fingern erwürgt die Sonne Mimosenblüten.
An ihren Gestaden wohnte das Glück, nur dürres Buschwerk begleitet den Blick zurück.
Tote Agaven winken aus Ruinen.
Der Himmel verliert sich in der Leere des Horizonts. Wo Motorengeheul schon lange verklungen, träume keiner mehr von Casino und Chic.
So wird hier keine Yacht mehr landen, kein Negresco mehr gebaut, keine Palme mehr gewässert keine Diva mehr geschaut.
|
ALTERSHEIM IN TRIBERG
Anklage eines Alten.
Hohe Mauern, Altersheim.
An den Fenstern Drei Gesichter - Bleich Gesicht Wein doch nicht.
Einsam ist es im Gemäuer, lästig sind wir Alten Euch! Alter, Schmerzen, Krankheit - fort! Ekel zieht durch Eure Stuben.
- Wer soll Ekel hier empfinden? Der, alte Väter, Mütter aus der Fülle ihres Daseins in das fremde Heim verbannt?
Oder der, der alt geworden abgeschoben und vertrieben ins Exil, die Fremde zieht?
- Auch die Jugend muß vergehen, wird dort an den Fenstern stehen.
- Bleich Gesicht! Starren auf das bunte Treiben - Wein doch nicht!
Starren aus den dunklen Fenstern, - in das Licht!
Einsam auf den Sonntag wartend, auf des Priesters schalen Trost, auf des eingen Kinds Besuche, die nicht kommen, - auf den Tod.
Ekel zieht durch die Gemäuer, Alter, Schmerzen, Krankheit - Not.
Jugend, Freiheit, Frische, Freizeit.
Ach - wär ich doch endlich tot.
|
KAFKA’S STERBEN aus Kafka’s und Doris Diamant’s letzten Briefen an dessen Eltern
,Alles ist wie gesagt in den besten Anfängen. Aber auch die besten Anfänge sind doch nichts ...
Meine Wohnung ist so schön, daß ich fürchte, ich werde sie bald wieder verlieren müssen.
April 1924. bettlägerig. fiebrig. Kehlkopftuberkulose. Prächtig erblühte Rose einst. In Gedanken schon verwelkt.
Zermürbt in den Abgründen von Selbstzweifeln, in der ewigen Bewegung des Abwägens und Aufhebens, die keine Aussage bestehen läßt.
Erzwungene Mühsal im tödlichen Ringen; projeziert jetzt Bilder lebenslänglich fortgesetzter Säuglingsfaulheit:
“Höchstens das Essen ist ein wenig anstrengender, als es das stille Saugen damals gewesen sein mag.”
Vergebliche Versuche der Exculpation im Willkomm, in der schillernden Verniedlichung unabänderlicher Tatbestände.
Die Seele zerrieben im Hin und Her von Selbstbezichtigung und Befreiung zugleich, zerfressen im ausweglosen Überlebenskampf.
Zwar bliebe uns die Illusion der Gegenwehr, die Hoffnung der Verlorenen: alles könnte vielleicht noch gut ausgehen.
Doch man weiß es alles nur zu genau. Das kennt man! Die Bejahung der Widersprüche läßt wenigstens im Augenblick das Schlimmste uns erscheinen als das Bestmöglichste.
Was tät ich, wenn jetzt Prag anläutet?
Die Wohnung so unangenehm kalt. Und doch sehr angenehm, da es das Telefonieren fast verhindert.
Husten, fiebrig, hilflos, kalt. Einsamer April 24.
Ihr dürft dem Doktor nicht böse sein. Er versteht auch nicht mehr, als er kann.
Bitte, wenn es irgendwie möglich, eine Daunensteppdecke zu schicken,
In der Klinik bekommt er nur das Notwendigste. Und kaufen ist so teuer.
So ist es gegangen. So wird es immer wieder gehen. Man weiß es genau.
Er widerspricht nun - nicht mehr.
|
DEPRESSION
Ich ziehe mein Inneres über meinen Kopf und verberge mich darin.
Ich lege dein Klettband über meine Zunge und verschließe die Welt vor mir.
Ich quetsche Rosenblüten in meine Augen und züchte ihre Dornen in meinen Höhlen.
|
KOSOVO-FRÜHLING
Regenschauer mit Schnee vermischt. Das Dorf liegt leblos im Tal.
Die letzten Hühner gackern giftig. Ein Hund irrt suchend zwischen Zäunen.
Bäume mit gebrochenen Fingern. Häuser mit blutender Stirn.
Der Sturm heult nur gedämpft. Ferner Donner hat ihm den Mut genommen.
Ein Trupp Bewaffneter streicht durch die Gassen. Vielleicht wird es im Sommer hier
- wieder wärmer.
|
LAND OHNE HOFFNUNG - KOSOVOWINTER 1998/99
Nur noch wenige Kilometer bis zur Stadt. Das Schneetreiben ist dichter geworden.
Menschen schleppen schweigend Lasten in ihren Rucksäcken. Die Führer noch immer im schalen Pathos.
Die Stadt verharrt in Finsternis und Kälte. Kolonnen streben von irgendwo nach nirgendwo. Land ohne Lichtschein, ohne Fenster, ohne Tür.
Ein wenig Milchpulver gäbe eine Chance bis morgen. Es träumt von Morgen. Morgen ist Sommer. Im Augenblick ist kein Krümel mehr da.
Morgen werden Frauen und Kinder die angefrorenen Gemüsereste aus den Tonnen des Supermarkts holen.
Morgen fährt kein Zug mehr nach nirgendwo. Die Bahnhöfe bleiben, auch morgen dunkel und unbeheizt.
Stürzt sich auf die letzten Fahrzeuge hinab, Zwängt sich vergebens zwischen Türen und Fenster.
Langsam zieht die Kolonne am Straßenrand, Tag und Nacht über die Straßen im Reich der untergegangenen Sonne.
Sack und Pack auf Handkarren. Magere Bündel in der Dunkelheit. Äste für ein unbekanntes Feuer.
Im Metallbett das Kind auf schmutzigem Laken, ganz still. Die Mutter schon verhundert.
Über angstgeweiteten Augen, über den Frost zieht eine Hand die braune Decke: Du wirst nie wieder frieren.
Werden mit kleinen Besen die letzten Kuchenreste vom Boden fegen.
Über dem verschneiten Land sammelt sich ein Schwarm von Kindern.
Die letzten hundert mögen es gewesen sein, aus jenem Land.
|
NOCH EINMAL EINE SCHOENE ZEIT HABEN
Der letzte Ausflug war Höhepunkt und Abschluß zugleich. Im Duft der besten Currywurstbude der Stadt seine beglückten Sinne baden, daunenweiches Eintauchen in den Frittennebel.
Seit Wochen kann er schon nicht mehr essen. Am Tropf. Jeder der fallenden Tropfen löst ein Trauma aus.
Wenn schon sterben, dann in den eigenen vier Wänden. Daheim sein, bevor der Heimgang endgültig ist, das Aufstehen, das Waschen, die Gespräche, der Tod.
Zeit der extremen Stimmungsschwankungen. Aufgewühlt und zerrissen von Angst und Zorn. Die Krankheit, die Fakten akzeptieren zu lernen, nur kein: was wäre wenn ... oder ... warum denn gerade ich?
DAs Leben geht stets weiter, jetzt aber ohne Dich. Ein jeder hofft bis zuletzt, auf Besserung, auf ein Wunder, auf ein wenig Zeitgewinn, auf das Leben nach dem Tod.
Nur einmal noch ein paar Tage nur, so leben wie früher, so unbeschwert. Einfach noch einmal eine schöne Zeit haben, im Süden, in der Sonne, am Meer.
Doch im Krankenhaus ist das Schlimmste das Sterben nebenan. Wenn Du in das Einzelzimmer verlegt wirst, wissen schon alle Bescheid.
Schreiend im Bett liegen. Gerade nachts ist die innere Unruhe, der Schmerz am Größten. Die Medizin liebt die Sterbenden nicht. Der Tod zeigt das Versagen ihrer Kunst.
Apparate quälen den Kranken rastlos, ohne Rücksicht auf seine Lebensqualität. Hilflos im Bett liegen. Von Schläuchen, Summen und Gerät am Sterben gehindert.
Ich schäme mich so, anderen zur Last zu fallen. Kein Kot ohne Hilfe. Es fällt so schwer, Wut und Angst zurückzuhalten.
Jede Minute fühlen, wie kostbar die Zeit und das verrinende Leben ist. Gesunde leben nicht. Verzetteln sich mit Problemen, die keine sind.
Aufkeimender Neid gegenüber den Gesunden. Er macht mich rasend. Die vormals hoffnungsvollen Blicke aus dem Fenster: Alle, alle da draußen besitzen eine Perspektive.
Ich hätte gerne auch noch einmal von diesem Kuchen genascht. Ein Hauch, kaum noch hörbar. Am Tag darauf kam der Tod.
Die letzten Stunden im Morphiumschlaf verdämmert. Unendlicher Schlaf ohne Traum. Freunde waren noch bei ihm in dieser Stunde.
|
WEIHNACHTSMARKT
Jesus geboren, Markt im Lichterglanz. Finsternis Bethlehems, Glühwein und Sternentanz.
Kürzer die Tage, dunkler der Sinn, schmerzvoll treibt unser Leben dahin.
Auf! Suchen wir Feste in unserer Gruft. Erleben die Weihnacht mit Mandelduft.
Die lieblichen Weisen ertönen so hell. Die Ware im Fenster beleuchtet ganz grell.
Oh armer Jesus, Du Kind im Stall. Du wolltest doch ein- mal erlösen - uns all!
Hoffnung und Freude, Lamettaglimmer. Ich laß mich verzaubern vom irdischen Schimmer.
Wir brauchen kein Kind. Weg mit dem Stall! Bethlehems Supermarkt jetzt überall.
|